Der britische Architekt Michael Wilford
stand als langjähriger Partner dem programmatischen Postmodernisten
James Stirling zu Seite. Aus dieser gemeinsamen Tätigkeit gingen u.a.
das Wissenschaftszentrum am Landwehrkanal in Berlin und der Erweiterungsbau
der Staatsgalerie Stuttgart hervor. Wilford arbeitete 1996 in der
internationalen Expertenkommission zum Wiederaufbau des Dresdner Residenzschlosses.
Die SZ sprach mit ihm während des Symposiums "IndustrieBau" in Dresden.

Nach meinem
Architekturstudium in London trat ich 1960 in das Büro von James Stirling
ein - zuerst als Mitarbeiter, später als Assistent und ab 1971 als
Partner. Stirling starb 1992. Er war 40 Jahre älter als ich. Natürlich
profitierte ich von seinen Erfahrungen und bezeichne ihn heute mit
großem Respekt als meinen Lehrer. Besonders schätze ich, dass wir
stets einen gleichberechtigten Gedankenaustausch führten. Wir haben
oft sehr kontrovers diskutiert. Das war für beide Seiten fruchtbar.
Aus dieser Inspiration heraus musste ich dann vor zehn Jahren meine
eigene Architektursprache finden.

Mit dem Botschaftsgebäude
will sich Großbritannien in der neuen Hauptstadt Berlin präsentieren.
Für uns war es wichtig zu zeigen, dass wir die Geschichte Deutschlands
und die der Stadt Berlin respektieren. Aber zugleich lag uns auch
an einer Hommage an das Bauen im 21. Jahrhundert. Das Gebäude lotet
die vorgeschriebenen Regularien aus. Die Fassade zur Wilhelmstraße
zeigt sich steinern mit regelmäßig eingeschnittenen Rechteckfenstern
- also ganz im Sinne der Berliner Traditionalisten. Im Inneren allerdings
eröffnet sich eine vollkommen andere Atmosphäre - hier entfaltet sich
ein Spiel der Farben und Formen. Das Gebäude spart nicht an modernen
Materialien, um so die Erlebnisfähigkeit der Benutzer zu stimulieren.
Viele Architekten fühlen sich eingeschränkt von den Vorgaben, die
das Bauen in Berlin bestimmen. Wir haben von den dortigen Baubehörden
von Anfang an Zustimmung bekommen.

Gegenwärtig ist es tatsächlich so, dass wir kein
Projekt in Großbritannien bearbeiten. Wir haben zwei Bauvorhaben in
den USA. Der Großteil unserer Tätigkeit liegt in Deutschland. Die
Arbeit an öffentlichen Gebäuden steht für uns im Vordergrund: die
Erweiterung der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende
Kunst in Stuttgart und des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg,
die kurz vor der Fertigstellung stehen. Die Bauvorhaben sind interessant
und unsere Bauherren gute Partner, die genügend Spielraum einräumen,
um gemeinsame Vorstellungen zu verwirklichen.

Vor einigen Jahren besuchte ich Dresden
privat, um mich mit dem historischen Stadtkern vertraut zu machen.
Kurze Zeit später wurde ich in die Expertenkommission berufen, die
sich mit den Planungen für das Residenzschloss befasste. Darüber hinaus
beteiligten wir uns am Wettbewerb zum Neubau der Fakultät Chemie der
TU Dresden an der Bergstraße und belegten den 5. Platz. Für Dresden
sehe ich die Chance, neben dem Traditionellen auch moderne Architektur
entstehen zu lassen. Das Weiterbauen am Stadtzentrum eröffnet auch
für Dresden neue Dimensionen.

Natürlich, ich hoffe darauf. Ich denke, Architekten
sollten die Zukunft optimistisch sehen - und sie sollen Visionen vorantreiben.
Nach meinem Empfinden ist es sogar mehr denn je die Aufgabe von Architekten,
über den Zusammenhang zwischen gebauter Umwelt und sozialer Kompetenz
nachzudenken, die Architektur ja zweifellos hat. Es gibt Architekten
wie zum Beispiel Rem Koolhaas, die die Zukunft des Bauens sehr pessimistisch
sehen. Koolhaas behauptet ja sogar, das Ende der Stadt sei gekommen.
Dem kann ich so nicht zustimmen. Für mich liegt die Zukunft der europäischen
Stadt im Bewusstwerden der eigenen Geschichte, in den eigenen Traditionen
und der Einbettung in eine bestimmte Landschaft, einer eigenen Typologie.
Die Stadtplanung muss sich stetig in die Evolution der Stadt einbringen,
sie vorantreiben. Wenn man die Aspekte des Lebens im 21. Jahrhundert
berücksichtigt, wird auch die Stadt als Lebensraum nicht überholt
sein. Jede Stadt hat ihren Reiz durch ihre Merkmale. Man sollte nicht
versuchen, eine globale Stadtform zu finden, die auswechselbar wird.
Wir konzipieren unsere Projekte immer für den konkreten Ort und für
einen bestimmten Nutzer. Eine Gefahr besteht dann, wenn Architektur
zum reinen Produkt wird, dass duplizierbar ist.

In Bezug auf die Formgebung, auf das Design und
die Ästhetik, über die der Architekt entscheidet, hat es sicher keine
Veränderungen gegeben. Aber das Berufsbild selbst hat sich erweitert.
Dem Architekten kommt nun eine Vermittlerrolle zwischen den verschiedenen
Sparten des Bauens zu. Einfühlungsvermögen in soziologische Fragestellungen
wird ihm ebenso abverlangt wie das Verständnis für Konstruktion, Material,
Farbe und sein Geschick, Räume zu inszenieren. Es ist immer wieder
eine Herausforderung, genau diese Teile, die diese Profession ausmachen,
zu einem Ganzen zu fügen.

Ich habe eins gebaut! Es wurde vor
kurzem im Magazin "Häuser" veröffentlicht. Ich finde, jeder Architekt
sollte das tun. Die Aufgabe ist sehr schwierig, aber sie diszipliniert
das eigene Denken. Es war auch für mich eine anregende Erfahrung,
mich nach meinen eigenen Bedürfnissen zu befragen. Ein Wohnhaus zu
bauen, halte ich generell für einen komplizierten Prozess, weil man
leicht vergisst, wie viel Zeit seines Lebens man in dieser Umgebung
verbringt.
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