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Die Zukunft der Stadt liegt in ihrer Geschichte   | Sächsische Zeitung, 7.2.2002

Der Londoner Architekt Michael Wilford über Visionen, das Bauen in Dresden und Berlin sowie über sein eigenes Haus


Der britische Architekt Michael Wilford stand als langjähriger Partner dem programmatischen Postmodernisten James Stirling zu Seite. Aus dieser gemeinsamen Tätigkeit gingen u.a. das Wissenschaftszentrum am Landwehrkanal in Berlin und der Erweiterungsbau der Staatsgalerie Stuttgart hervor. Wilford arbeitete 1996 in der internationalen Expertenkommission zum Wiederaufbau des Dresdner Residenzschlosses. Die SZ sprach mit ihm während des Symposiums "IndustrieBau" in Dresden.

Welchen Einfluss haben die gemeinsamen 30 Jahre mit James Stirling auf Ihre Arbeit heute? Nach meinem Architekturstudium in London trat ich 1960 in das Büro von James Stirling ein - zuerst als Mitarbeiter, später als Assistent und ab 1971 als Partner. Stirling starb 1992. Er war 40 Jahre älter als ich. Natürlich profitierte ich von seinen Erfahrungen und bezeichne ihn heute mit großem Respekt als meinen Lehrer. Besonders schätze ich, dass wir stets einen gleichberechtigten Gedankenaustausch führten. Wir haben oft sehr kontrovers diskutiert. Das war für beide Seiten fruchtbar. Aus dieser Inspiration heraus musste ich dann vor zehn Jahren meine eigene Architektursprache finden.

Die von Ihnen gebaute Britische Botschaft in Berlin charakterisierten Sie mit den Worten "Germany outside. Britain inside." Verstehen Sie das Gebäude als Statement zur Diskussion um die Berliner Architektur? Mit dem Botschaftsgebäude will sich Großbritannien in der neuen Hauptstadt Berlin präsentieren. Für uns war es wichtig zu zeigen, dass wir die Geschichte Deutschlands und die der Stadt Berlin respektieren. Aber zugleich lag uns auch an einer Hommage an das Bauen im 21. Jahrhundert. Das Gebäude lotet die vorgeschriebenen Regularien aus. Die Fassade zur Wilhelmstraße zeigt sich steinern mit regelmäßig eingeschnittenen Rechteckfenstern - also ganz im Sinne der Berliner Traditionalisten. Im Inneren allerdings eröffnet sich eine vollkommen andere Atmosphäre - hier entfaltet sich ein Spiel der Farben und Formen. Das Gebäude spart nicht an modernen Materialien, um so die Erlebnisfähigkeit der Benutzer zu stimulieren. Viele Architekten fühlen sich eingeschränkt von den Vorgaben, die das Bauen in Berlin bestimmen. Wir haben von den dortigen Baubehörden von Anfang an Zustimmung bekommen.

In Stuttgart und London betreiben Sie Architekturbüros mit je 50 Mitarbeitern. Wo liegt der Schwerpunkt Ihrer Arbeit? Gegenwärtig ist es tatsächlich so, dass wir kein Projekt in Großbritannien bearbeiten. Wir haben zwei Bauvorhaben in den USA. Der Großteil unserer Tätigkeit liegt in Deutschland. Die Arbeit an öffentlichen Gebäuden steht für uns im Vordergrund: die Erweiterung der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart und des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, die kurz vor der Fertigstellung stehen. Die Bauvorhaben sind interessant und unsere Bauherren gute Partner, die genügend Spielraum einräumen, um gemeinsame Vorstellungen zu verwirklichen.

Haben Sie einen Einblick in das Baugeschehen Dresdens? Vor einigen Jahren besuchte ich Dresden privat, um mich mit dem historischen Stadtkern vertraut zu machen. Kurze Zeit später wurde ich in die Expertenkommission berufen, die sich mit den Planungen für das Residenzschloss befasste. Darüber hinaus beteiligten wir uns am Wettbewerb zum Neubau der Fakultät Chemie der TU Dresden an der Bergstraße und belegten den 5. Platz. Für Dresden sehe ich die Chance, neben dem Traditionellen auch moderne Architektur entstehen zu lassen. Das Weiterbauen am Stadtzentrum eröffnet auch für Dresden neue Dimensionen.

Entwickeln Architekten heute noch Visionen? Natürlich, ich hoffe darauf. Ich denke, Architekten sollten die Zukunft optimistisch sehen - und sie sollen Visionen vorantreiben. Nach meinem Empfinden ist es sogar mehr denn je die Aufgabe von Architekten, über den Zusammenhang zwischen gebauter Umwelt und sozialer Kompetenz nachzudenken, die Architektur ja zweifellos hat. Es gibt Architekten wie zum Beispiel Rem Koolhaas, die die Zukunft des Bauens sehr pessimistisch sehen. Koolhaas behauptet ja sogar, das Ende der Stadt sei gekommen. Dem kann ich so nicht zustimmen. Für mich liegt die Zukunft der europäischen Stadt im Bewusstwerden der eigenen Geschichte, in den eigenen Traditionen und der Einbettung in eine bestimmte Landschaft, einer eigenen Typologie. Die Stadtplanung muss sich stetig in die Evolution der Stadt einbringen, sie vorantreiben. Wenn man die Aspekte des Lebens im 21. Jahrhundert berücksichtigt, wird auch die Stadt als Lebensraum nicht überholt sein. Jede Stadt hat ihren Reiz durch ihre Merkmale. Man sollte nicht versuchen, eine globale Stadtform zu finden, die auswechselbar wird. Wir konzipieren unsere Projekte immer für den konkreten Ort und für einen bestimmten Nutzer. Eine Gefahr besteht dann, wenn Architektur zum reinen Produkt wird, dass duplizierbar ist.

Hat sich das Berufsbild des Architekten verändert? In Bezug auf die Formgebung, auf das Design und die Ästhetik, über die der Architekt entscheidet, hat es sicher keine Veränderungen gegeben. Aber das Berufsbild selbst hat sich erweitert. Dem Architekten kommt nun eine Vermittlerrolle zwischen den verschiedenen Sparten des Bauens zu. Einfühlungsvermögen in soziologische Fragestellungen wird ihm ebenso abverlangt wie das Verständnis für Konstruktion, Material, Farbe und sein Geschick, Räume zu inszenieren. Es ist immer wieder eine Herausforderung, genau diese Teile, die diese Profession ausmachen, zu einem Ganzen zu fügen.

Was wäre Ihnen wichtig, wenn Sie ein Haus für sich bauen? Ich habe eins gebaut! Es wurde vor kurzem im Magazin "Häuser" veröffentlicht. Ich finde, jeder Architekt sollte das tun. Die Aufgabe ist sehr schwierig, aber sie diszipliniert das eigene Denken. Es war auch für mich eine anregende Erfahrung, mich nach meinen eigenen Bedürfnissen zu befragen. Ein Wohnhaus zu bauen, halte ich generell für einen komplizierten Prozess, weil man leicht vergisst, wie viel Zeit seines Lebens man in dieser Umgebung verbringt.